Diese Arnsdorfer Werkgruppe ist von kunsthistorischer Singularität, da offensichtlich kein weiterer Fall bekannt ist, in dem eine hospitalisierte Person ihr Lebensumfeld dokumentiert hat. Die zumeist in eindringlichem Dingrealismus fixierten Beobachtungen der Bewegungs- und Gebärdensprache psychisch Kranker stellen einen weiteren Höhepunkt künstlerischen Schaffens von Elfriede Lohse-Wächtler dar. Zeitgleich artikulierte sie ihre eigene Angst in mystischen, enigmatischen Zeichnungen, z.B. die Hilfesuchende Kniende weibliche Figur in Phantasiekostüm
(1934).
Das Schicksalsjahr 1935 bewirkte einen unaufhaltsamen Verfall ihrer Kreativität. Ihre bildnerische Reaktion auf die Zwangssterilisation dürfte die verschollene symmetrisch-flächige Zeichnung Leben(1936) sein - eine auf den Kopf gestellte Gebärende, deren Leib ein Kind in triumphierendem Gestus entsteigt. Naiv dekorierte Exlibris und Glückwunschkarten belegen unübersehbar Schwäche und Unvermögen, so die letzte Karte Blumenstück
(März 1940)
an die Mutter mit dem Text: "Ängstige Dich nur nicht immer so sehr, es wird schon alles wieder gut werden ... ". Wie berechtigt die Befürchtungen der Mutter jedoch waren, beweist das nahe Ende: Von Arnsdorf wurde die Kranke in die Heil- und Pflegeanstalt Pirna-Sonnenstein verbracht. Dort im Kellergeschoss wurde sie vergast und ihre Asche anschließend auf den Hängen der Elbe ausgestreut. Die auf den 12. August 1940 datierte Nachricht der Landes- und Pflegeanstalt Brandenburg/Havel, derzufolge Elfriede Lohse-Wächtler an „Lungenentzündung und Herzmuskelschwäche“ verstorben sei, sowie die offizielle Sterbeurkunde gingen den Eltern nach der Ermordung zu. Letztere verstarben 1947 in Dresden. Im Juni/Juli desselben Jahres fand im Schwurgericht Dresden der sogenannte Dresdner „Ärzteprozeß“ statt, in dem Hubert Wächtler als Zeuge auftrat. Die an den Euthanasie-Verbrechen beteiligten Ärzte Prof. Dr. Hermann Paul Nitsche und Dr. Ernst Leonhardt wurden darin zum Tode verurteilt.